Sonntag, 14. Januar 2007

Urnäsch, 13. Januar 2007






Sie kommen wie aus dem Nichts. Dabei müsste man ihre Routen, den Strech, eigentlich nachvollziehen können. Sie tanzen durch die Menschenmenge, als ob diese nicht da wäre, obwohl die Menschenmasse sich anklebt, um zu sehen und zu fotografieren, weicht sie ehrführchtig und respektvoll zurück, sobald sich der "Schuppel" wieder in Bewegung setzt, keine Behinderung duldend, auch Postautos und Touristencars müssen warten und ausweichen.

Silvesterchläuse. Ich habe sie dieses Jahr am alten Silvester zum ersten Mal "leibhaftig" gesehen und komme wie aus einer anderen Welt zurück. Ich kann hier nicht alle Aufnahmen posten, die ich gemacht habe, nur die besten aus meiner Sicht. Das Erlebnis kann ich kaum wiedergeben, sogar meine Kinder kamen ins Fieber, wo und wann wohl wieder ein Schuppel auftauche, und ob es än schönä, än wüeschtä oder än schöwüeschtä sei. Die Faszination des genauen rituellen Ablaufes dieses Neujahrssegens ist ungemein. In Urnäsch ist das Ganze schon sehr zur Touristen- und Besucherattraktion geworden, ohne, dass sich der Brauch dem angepasst hätte (Holz alänge, dass es so bleibt!).

Das Ritual ist fest: Auf dem Weg wird federnden Schrittes mit dem Stock gelaufen. So, dass eventuelles Publikum nicht mithalten kann. Immer in der Reihenfolge Vorrolli, Glockenträger (mindestens vier), Nachrolli. Die Rolli sind die mit den Schellengurten, bei den Schönen die Frauenfiguren mit den grossen Hauben. Die Rolli haben den ganzen Strech hüpfend und drehend zurückzulegen. Das ist ziemlich streng bei einem bis zu achtzehnstündigen Tag und einem Strech von bis zu 20 Kilometern. Kommt der Schuppel bei einem Hof oder einem vorbestimmten Haus im Dorf an, werden zuerst die Bewohner "herausgeläutet" und "-geschellt", wobei Vor- und Nachrolli die Schellen wie Brüste schwenken, die Männermasken ihre Glocken ebenso an das Geschlechtsmerkmal erinnernd - mit dem Klöppel - hin und her schwenken. Treten die Bewohner aus der Türe, wird der Besuch vom Vorrolli angekündigt bzw. vorgestellt, dann bildet der Schuppel einen engen Kreis und beginnt mit dem wortlosen Gesang, dem Zäuerle. Die Hausbewohner hören zu. Nach der ersten Zäuerlirunde wird wieder geschellt, das Signal, dass der Schuppel etwas zu Trinken bekommen sollte. Das kann Weisswein, Most, Kafi Lutz sein, obligatorisch ist der Trinkschlauch, denn mit den Masken kann man nicht am Mund ansetzen. Ein Glas und ein Schlauch wandern in den Händen - meist - der Hausfrau von Chlaus zu Chlaus. Es folgt die zweite Zäuerlirunde, da ist es geboten, dass jemand vom Haus, meist der Hausherr, in den Kreis tritt und mitzäuerlet. Das Zäuerli klingt aus, die Männer fassen ihre Stöcke fester, das Signal für die Rolli, langsam die Schellen zu bewegen, die Glocken folgen, allseits wird den Gastgebern ein gutes Jahr angewünscht und die Schuppel bewegt sich zum nächsten Ort weiter. Die Kombination der lauten Schellen und des durch die Masken gedämpften Gesangs zieht einen in einen magischen Bann.

Das Ritual bleibt stets das gleiche. Das korrekte Auftreten wird aber von den Schönen besonders genau eingehalten. Als Stimmungsbild sei der 20-Minütige Film "Silvesterklausen" von Andreas Baumberger im Auftrag des Appenzeller Volkskunde-Museums empfohlen.

3 Kommentare:

Der Wilderer hat gesagt…

Groossaartig. I hätt o selle chun!

Der Wilderer hat gesagt…

Hab jetzt eines von Deinen Bildern gerippt, um Deinen Bericht zu verlinken, ich hoffe, das ist ok. Muss sagen dass mich Deine Reportage wirklich sehr beeindruckt hat - sie hat journalistisches Format. Ich komme gleich wieder in go native-Stimmung...

Hagezusr hat gesagt…

Bilder rippen ist OK! Kann Dir auch elektronische Abzüge schicken, weil, wie gesagt, ich habe dreimal soviel Bilder!

Danke für die Blumen, ich bin sehr geehrt, das von Dir mit Deinen hervorragenden Texten zu hören. Freut mich, wenn Bild und Text fesseln konnten. Ich war - und bin noch - auch voll auf dem go native-Trip!